Neun Monate arbeitete ich in dem kleinen rumänischen Dorf Cund (dt. Reussdorf) tief im Herzen von Transsilvanien mit den sieben Reitpferden eines Ferienresorts. Eigentlich wollte ich in Rumänien nur das sechsmonatige Praxissemester im Rahmen meines Studiengangs Pferdewirtschaft absolvieren, letztendlich verliebte ich mich jedoch so sehr in das Land, das ich nach einem einmonatigen Roadtrip im September, einfach noch zwei weitere Monate in Cund blieb. Ein wenig war das auch der Tatsache geschuldet, dass mein VW-Bus aufgrund des kaputten Vergasers, über zwei Monate in der Werkstatt verbrachte und ohne mein Auto wollte ich auf keinen Fall nach Deutschland zurückkehren. Die historische Region Siebenbürgen, das traditionelle Leben auf dem Land, das trotz Handys, WLAN-Verbindung und Satellitenschüsseln, noch genauso zu sein scheint, wie vor fünfzig Jahren, und die einzigartige Natur mit den in Europa inzwischen selten gewordenen Braunbären, Wölfen und Luchsen, hat mich während der neun Monate in Rumänien unglaublich beeindruckt.
Valea Verde
Valea Verde ist ein Resort im beschaulichen Dorf Cund, nur 40 Autokilometer südlich von Târgu Mureș, das 2005 von einem deutschen Ehepaar gegründet wurde. Ähnlich wie auf der Ponyfarm auf der ich in Laos gearbeitet habe (Als Volontär auf einer Farm in Laos), lag der Schwerpunkt von Valea Verde nicht auf dem Reittourismus, sondern dem Hotel- und Restaurantbetrieb. Heute besteht das Resort aus insgesamt 16 Ferienzimmern, drei Ferienhäusern und drei voll ausgestatteten Apartments und beschäftigt über zwanzig Mitarbeiter aus Cund und dem Nachbardorf Gogan. Abgesehen von meinen deutschen Chefs war ich somit die einzige Ausländerin in der kleinen Gemeinde. Die Unterkünfte selbst befinden sich in traditionellen Bauernhäusern, die im Laufe der Jahre aufwendig renoviert und für die Gäste wohnlich eingerichtet wurden. So bleibt einerseits ihr historischer und romantischer Charme erhalten, andererseits zeichnet sie heute ein für ein kleines transsilvanischen Dörfer mit eher simplen Lebensbedingungen, moderner Komfort aus. Inspiriert wurde Valea Verde dabei von dem italienischen Konzept „Albergo diffuso“ (dt. verstreutes Hotel), also Ferienunterkünften für Gästen, die sich nicht in einer großen Anlage befinden, sondern über das ganze Dorf verteilt sind. Somit können die Gäste tief in das Dorfleben der Einwohner von Cund eintauchen und gleichzeitig den Standard eines 4-Sterne Resorts genießen.

Zu Valea Verde gehört außerdem ein eigenes Restaurant, das in einer ehemaligen, ebenfalls aufwendig restaurierten Scheune eingerichtet wurde. Außerdem verfügt Valea Verde über einen eigenen Schwimmteich, ein Fitnessstudio, das ich zugegebenermaßen nie genutzt habe, einer traditionellen Cabana (dt. Hütte) mit Sauna und Hot Water Tub, einem Wildlife Observatory direkt am Waldrand und dem Reitstall mit den sieben Pferden. Den Pferden stehen insgesamt sechs große Weiden zur Verfügung, auf denen besonders in den Sommermonaten allerlei gesunde Kräuter und Gräser wachsen, ein Stall mit sieben großzügigen Boxen für die Nacht und ein Reitplatz zum Longieren und für den Reitunterricht.
Beworben habe ich mich für die Stelle als Reitlehrer über das Reiterportal reiten-weltweit.de und die Arbeit lief im Rahmen meines sechsmonatigen Praxissemesters ab. Ich erhielt freie Mahlzeiten im Restaurant, eine zwei Zimmer Apartment direkt am Stall und ein monatliches Gehalt von 450 Euro.
Arbeitsalltag
Ich hatte das große Glück, alle vier Jahreszeiten in Cund zu erleben. Als ich im März anreiste, war es bitterkalt, der Schnee fiel tagelang und die Pferde versanken auf den Ausritten bis zum Bauch im kalten Weiß. Der Frühling kündigte sich einige Wochen später durch die bunt blühenden Orchideen und Narzissen, zirpenden Insekten, das Zwitschern einer unglaublich vielfältigen Vogelwelt und besonders viel Sonnenschein an. Die Tiere krochen aus ihren Winterverstecken und neben unzähligen Rehen, Hasen, Eichhörnchen, Füchsen, Greifvögeln und bunten Schmetterlingen, begegneten mir auf einem Ausritt sogar zwei Braunbären. Ein Erlebnis, das ich niemals vergessen werde. Der Sommer hingegen war lang und teilweise sehr heiß. Während die Pferde bei Abwesenheit von Reitgästen viel Zeit auf den Weiden inmitten von hüfthohen Gräsern verbrachten, schwamm ich mit meinem Hund Gismo im Schwimmteich und traf im mehrere Monatelang ausgebuchten Resort, allerlei interessante Menschen. Der Herbst in Transsilvanien überraschte mich mit einem traumhaften goldenen Oktober, der schließlich von einem nebligen, Nachts sehr kalten aber dennoch schönen November abgelöst wurde. Bei jedem Ausritt entdeckte ich Rehe und Füchse auf Futtersuche auf den weitläufigen Feldern. Noch nie in meinem Leben habe ich einen so schönen Herbst irgendwo auf der Welt erlebt.

Normalerweise begann mein Arbeitstag gegen acht Uhr morgens, indem ich die Pferde auf eine der Weiden brachte und nachdem Frühstück im Restaurant gegen 10 Uhr entweder den ersten Ausritt mit den Reitgästen unternahm, oder selbstständig die Pferde trainierte. Meistens ritt ich die Pferde auf mehrstündigen Ausritten von Dorf zu Dorf, longierte sie bei guten Bodenverhältnissen auf dem Reitplatz oder spannte zwei von ihnen an eine der traditionellen Kutschen. An regnerischen Tagen pflegte ich Sättel und Zaumzeuge, reinigte das Putzmaterial, entfernte Spinnweben aus dem Stall, säuberte Tränken und malte zusammen mit den Kindern aus dem Dorf Bilder zum Dekorieren des Stalls. Besondere Ereignisse während meiner Arbeitszeit waren das Organisieren und Durchführen von Hochzeiten zu Pferd, auf denen die Braut entweder im Sattel oder auf der Kutsche zum Altar gebracht wurde, sowie die Teilnahme an mehreren Fernsehinterviews – und Dokumentationen, über meine Arbeit bei Valea Verde. Die Arbeitstage in Cund waren besonders in der Hochsaison in den Sommermonaten lang und intensiv, denn häufig verbrachte ich den ganzen Tag unter der heißen Sonne im Sattel oder auf dem Kutschbock, um Gäste durch die herrlichen Landschaften rund ums Dorf zu führen.

In den Frühlings- und Herbstmonaten waren meine Arbeitstage bis auf Ostern und einige Feiertage weit weniger anstrengend und ich hatte geregelte freie Tage, an denen ich die nahe gelegenen Städte Târgu Mureș, Mediaș und Sighișoara erkundete oder den ein oder anderen Roadtrip mit meinem VW-Bus unternahm. Im Oktober war ich außerdem einen Monat für das Füttern der Pferde und das Ausmisten der Boxen zuständig, da der Pferdepfleger einige Wochen in Deutschland arbeitete. Gegen 19 Uhr holte ich die Pferde meist von der Weide in den Stall zurück und machte dann Feierabend. Nur in den Sommermonaten blieben die Pferde bis 23 Uhr auf der Weide, um die kühleren Temperaturen auszunutzen. Die ganze Nacht ließ ich sie allerdings nie draußen, da sie nicht unbeaufsichtigt auf der Weide bleiben sollten. Zum einen hatte jeder vorbeikommende Fußgänger so leichten Zugriff auf die Tiere, zum anderen leben in den Wäldern rund um Cund noch immer um die 40 Braunbären und auch wenn diese Tiere sich meist fern halten von den Dörfern, sollte man sein Glück nicht herausfordern. Im Winter entdeckte ich im Schnee viele Bärenspuren in unmittelbarer Nähe zum Dorf.

So gingen die Wochen ins Land und umso beschäftigter ich war, desto schneller verging auch die Zeit. Ich lernte viele tolle neue Leute kennen, aufgrund der Corona-Pandemie besonders Einheimische und Ausländer, die in Rumänien lebten. So erfuhr ich viel über die Sichtweise der Rumänen auf ihr Land, traf den ein oder anderen Politiker, Instagram-Influencer und mehr oder weniger bekannte rumänische Prominente. Ich hatte besonders in den Sommermonaten, als mich auch noch einige Freunde von daheim besuchten, eine grandiose Zeit. Wir ritten mit den Pferden in die nächstgelegene Stadt Dumbrăveni zum Pizza essen, unternahmen Kutschfahrten unter dem hellen Licht des Vollmonds, spürten Braunbären, Wildschweine und riesige Hirsche in den Wäldern auf, picknickten auf den höchsten Hügeln Cunds, während die Pferde uns das Baguette stibitzen, galoppierten über endlose Feldwege und erforschten auf mehrstündigen Tagesritten die umliegenden Dörfer.
Das Leben in einem transsilvanischen Dorf
Cund liegt in der historischen Region Siebenbürgen, heute besser bekannt als Transsilvanien, „Das Land hinter den Wäldern.“ Ursprünglich wurden die Siebenbürger Sachsen als Hilfsvolk durch den ungarischen König Geysa II im frühen 12. Jahrhundert angeheuert und an den Südkarpaten angesiedelt, um bei der Abwehr potentieller Angriffe der Mongolen und Tataren zu helfen. Sie kamen aus der Region der Mosel und des Mittelrheins, woher die Bezeichnung als Sachsen herrührt, ist bis heute umstritten. Damit sind die Siebenbürger Sachsen die älteste noch existierende Deutsche Siedlergruppe im Osten Europas. Die Abwanderung der Siebenbürger Sachsen resultierte aus dem verheerten Verlauf des zweiten Weltkrieges. Während Rumänien auf der Seite der Alliierten kämpfte, wurden viele Sachsen zur deutschen Waffen-SS berufen. Viele der Überlebenden kehrten nach Ende des zweiten Weltkrieges nie in ihre Heimat zurück, denn in Siebenbürgen herrschte seit 1944 eine extreme Form der Entrechtung und Diskriminierung gegenüber der Sachsen. 1945 wurden viele Siebenbürger Sachsen in Rumänien zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert, während den Zurückgebliebenen all ihre politischen Rechte entzogen wurden. Grundstücke, Gebäude und Fabriken, sowie alles Geld auf der Bank, ging in den Besitz Rumäniens über. Aufgrund der nun startenden Auswanderungswelle der Siebenbürger Sachsen nach Deutschland, witterte der rumänische Staat ein lukratives Geschäftsmodell und verkaufte der deutschen Bundesregierung jeden Sachsen für jeweils 10.000 DM. Die Auswanderer mussten ihre wenigen übrig gebliebenen Habseligkeiten zu kleinen Preisen an die rumänische Regierung abtreten und auch noch Geld zahlen für die Aufgabe der rumänischen Staatsbürgerschaft. Von den einst über 300.000 Siebenbürger Sachsen Anfang des 20. Jahrhunderts, leben heute weniger als 15.000 in Transsilvanien.

Cund ist ein sehr typisches Dorf in Siebenbürgen. Es verfügt über die stattliche St. Nikolaus Kirche, die Giebelseite der klassischen, einstöckigen Farmhäuser zeigen zur Straße, die Grundstücke mit den oftmals großen Gärten grenzen direkt aneinander, einen für rumänische Verhältnisse ungewöhnlich sauberen Fluss, mehrere Brunnen, denn viele Häuser verfügen über keinen Wasseranschluss, eine Schule und ein Magazin, also einen typischen rumänischen Lebensmittel- und Bedarfsladen. Hinter den Gärten bzw. den häufig am Ende des Grundstücks liegenden Scheunen beginnen die weitläufigen Äcker und Felder. Das Leben in Cund ist einfach. In diesem Dorf haben die Einwohner das Glück zwei große Arbeitgeber direkt vor der Tür zu haben, zum einen Valea Verde und zum anderen die Käserei Manufactura de Branza. Somit müssen sie nicht in die nächsten größeren Städte pendeln, um Arbeit zu finden.
Besonders ist der Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft, der es mir gerade zu Beginn meiner Arbeitszeit schwer gemacht hat, Anschluss zu finden. Die Dorfbewohner leben seit vielen Jahrzehnten in der gleichen Konstellation zusammen, heiraten untereinander und nur die wenigsten verlassen jemals Cund oder gar den Bezirk Mureș. Natürlich war ich von Anfang an die Fremde. Außerdem ist das Frauenbild in Rumänien noch immer sehr konservativ-klassisch geprägt, so verdient der Mann häufig den kargen Lebensunterhalt und ist somit der Chef der Familie, während die Frau für das Haus, die Kinder und die Versorgung der Tiere zuständig ist. Trotzdem bin ich auf Gleichgesinnte gestoßen, habe wichtige Freundschaften geschlossen und mich so gut wie möglich an das Leben in Cund angepasst. Eine von ihnen werde ich jedoch niemals sein. Aber das war auch nie mein Ziel, denn ich wollte neue Arbeitserfahrungen in einem fremden Land sammeln und dabei Kultur und Menschen kennenlernen. Das ist mir definitiv gelungen.
Fazit
Die neun Monate in Rumänien und meine Arbeit mit den Pferden von Valea Verde hat mich mal wieder sehr viel gelehrt. Wieder einmal war alles ganz anders als ich es mir im Vorhinein ausgemalt habe, was vorallen an meinen Vorurteilen gegenüber Rumänien lag. Das Dorf Cund hat mich mit der Ruppigkeit und Insichgekehrtheit der Einwohner einerseits und dem starken Band des Zusammenhalts innerhalb der Gemeinschaft andererseits sehr fasziniert. Neben diesem ausgeprägten Gemeinschaftsgefühl begeisterte mich vor allem die wunderschöne Natur, die ich täglich auf dem Rücken der Pferde erkunden durfte, die reiche und vielfältige Kultur des osteuropäischen Landes, sowie die spannenden Begegnungen mit Menschen aus ganz Rumänien. Eines Tages werde ich sicher noch einmal zurückkommen.
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